Ist die Schweiz rassistisch?

Témoignage «La Suisse, un pays raciste?»

Zusammenfassung

Der Jurastudent Socrate Djilo Youbessi ist Afrikaner und als Adoptivkind mit seinem Bruder in Zofingen aufgewachsen. Er meint, dass es schwierig sei mit Menschen über das Thema Rassismus zu sprechen. Auf seine Vergangenheit blickt er mit gemischten Gefühlen zurück, denn einerseits wurden er und sein Bruder in der Gesellschaft akzeptiert, andererseits mussten sie oft unangenehme Blicke hinnehmen oder wurden mehrmals am Tag von der Polizei kontrolliert. Youbessi und sein Umfeld nehmen die schweizerischen Behörden im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung eher passiv wahr, da diese nur in schwerwiegenden Fällen handeln. Dies liegt mitunter daran, dass viele Geschehnisse gar nicht die Öffentlichkeit erreichen, weil die Praktizierenden ihre rassistischen Taten legal zu gestalten wissen. Dadurch fällt es den Betroffenen und den Behörden schwer Beweise zu finden und gegen Täter vorzugehen. Als Beispiel nennt Youbessi Diskotheken, welche «Schwarzen» keinen Einlass gewähren, aber immer mindestens eine dunkelhäutige Person einladen, damit sie später beweisen können, dass sie niemanden ausgeschlossen haben. Die Schweiz ist für Youbessi kein rassistisches Land, doch im Alltag sei Rassismus immer wieder anzutreffen (Youbessi, S. 100/101, 2014).

 

Analyse

Youbessi geht in seinem Text besonders auf den Anti-Schwarzen Rassismus ein, welcher sich auf die ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit dem physischen Merkmal der Hautfarbe bezieht (Angst, 2018, S. 2). Laut Angst (2018) sind statistisch gesehen 17% der Opfer in Rechtsfällen bezüglich Rassendiskriminierung Schwarze oder Dunkelhäutige, obwohl das Wissen, dass es nur eine Menschenspezies gibt, seit mindesten 20 Jahren existiert (S. 1). Ausschlaggebend sind nicht die Gene, sondern die gelernten Einstellungen gegenüber anderen Menschen. Sobald eine negative Konnotation zum Zielobjekt entsteht, handelt es sich um ein Vorurteil, welches unbewusst existieren kann (Gerrig, 2016, S. 673-676).

Die Schweiz soll mittels der Antirassismus-Norm Art. 261 StGB jeder Person einen Schutz gegen rassistische Diskriminierung gewährleisten (Payot, Schleicher, Schwander, 2016, S. 91). Diese Norm bezieht sich auf die Gleichheitsrechte, genauer genommen auf das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV). Youbessi erwähnt das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 16 BV), welches sich der Einhaltung von Art. 8 Abs. 2 BV in den Weg stelle. Aber durch Einhaltung von Art. 36 BV kann die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden und ist somit keine Legitimierung für diskriminierendes Verhalten.

 

Bezug zur Sozialen Arbeit

Die Soziale Arbeit muss Möglichkeiten schaffen, um einerseits über die Vorkommnisse zu sprechen und sich auszutauschen und um andererseits auch die Menschen, welche nicht direkt betroffen sind, aufzuklären. Denn die 10 Goldenen Regeln zum konkreten Handeln bei rassistischer Diskriminierung beinhalten unter anderem, dass man Phänomene erkennen und darüber sprechen soll (Angst, 2017, S. 1). Nur so können vorliegende Sachverhalte genau geklärt werden und nur so können Sozialarbeitende mit ihrem Fachwissen die Klientel über ihre Rechte und Pflichten aufklären.

An erster Stelle soll die Soziale Arbeit Unterstützung anbieten, damit die betroffene Klientel subjektive Konflikte verändern kann (Avenir Social, o.D., S. 7). Da der Berufskodex der Sozialen Arbeit aber festlegt, dass Diskriminierung nicht geduldet, sondern zurückgewiesen werden soll (Beck, Diethelm, Kerssies, Grand & Schmocker, 2010, S. 9), soll die Soziale Arbeit nicht nur im interpersonellen Kontext tätig sein, sondern auch am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Denn öffentliche Diskurse erzeugen Wissen und Wirklichkeit und bestimmen somit das subjektive Denken und Handeln (Duttweiler, 2017, S. 6).

 

Persönliche Reaktion

Meiner Meinung nach müsste Youbessi bei seiner Entscheidung, ob die Schweiz ein rassistisches Land ist oder nicht, die anderen Formen von Rassismus wie Antisemitismus, Rechtsextremismus oder Islamfeindlichkeit usw. ebenfalls berücksichtigen. Seine Aussage, dass die Schweiz kein rassistisches Land ist, basiert in erster Linie auf seinen persönlichen Erfahrungen, welche somit subjektiv sind und nicht für die Beantwortung der Frage ausreichen. Das Bundesamt für Statistik beweist nämlich, dass die Diskriminierungserfahrungen in der Schweiz zugenommen haben (2017). Deshalb kann ich Youbessi nicht in allen Punkten zustimmen. Ich stimme ihm aber zu, dass die Schweiz rechtlich gesehen kein rassistisches Land ist. Doch in der Praxis scheint die Umsetzung des Gesetzes nicht garantiert zu sein und genau dieser Aspekt erreicht nur mangelhaft die Öffentlichkeit. Gerade deshalb finde ich die Mitwirkung der Sozialen Arbeit am öffentlichen Diskurs sehr relevant, damit die Bevölkerung aufgeklärt wird.

Beim Lesen des Textes war ich überrascht, dass diskriminierendes Verhalten in der Schweiz so alltäglich ist und Youbessi hat mir bewiesen, dass ich diese Problematik als zukünftige Sozialarbeiterin immer ernstnehmen muss.


 

Literaturverzeichnis

Angst, Doris. (2018). Definitionen [Word, Berner Fachhochschule BFH – Departement Soziale Arbeit]. Abgerufen von https://moodle.bfh.ch/mod/resource/view.php?id=773034

 

Angst, Doris. (2017). Konkretes Handeln im Alltag bei Verdacht auf rassistische Diskriminierung und extremistische Tendenzen. 10 Goldene Regeln [ausgedrucktes Dokument]. Berner Fachhochschule BFH – Departement Soziale Arbeit.

 

Angst. Doris. (2018). Rechtsfälle gemäss Strafnorm Rassendiskriminierung StGB Art. 261. Monitoring der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR [ausgedrucktes Dokument]. Berner Fachhochschule BFH – Departement Soziale Arbeit.

 

Avenir Social. (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz: Ein Argumentarium für die Praxis der Professionellen [PDF]. Abgerufen von http://www.avenirsocial.ch/de/berufsethik

 

Avenir Social. (o.D.). Rassistische Diskriminierung und Diskriminierungsschutz konkret. Ein Leitfaden für die Praxis der Sozialen Arbeit. Obergerlafingen: Albrecht Druck AG.

 

Bundesamt für Statistik. (2017). Entwicklung der rassistischen Diskriminierungserfahrung, nach Staatsangehörigkeit und Migrationsstatus, 2010-2016. Abgerufen von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/migration-integration/integrationindikatoren/alle-indikatoren/rassismus-diskriminierung/erfahrung.html

 

Duttweiler, Stefanie. (2017). Diskurse des Othering [PDF, Berner Fachhochschule BFH – Departement Soziale Arbeit]. Abgerufen von https://moodle.bfh.ch/mod/resource/view.php?id=657798

 

Gerrig J., Richard. (2016). Psychologie. (20. Aufl.). Hallbergmoos: Pearson Deutschland GmbH.

 

Payot, Peter, Schleicher, Johannes & Schwander, Marianne. (2016). Recht für die Soziale Arbeit. Grundlagen und ausgewählte Aspekte (4. Aufl.). Bern: Haupt Verlag.

 

Youbessi, Socrate Djilo. (2014). Témoignage «La Suisse, un pays raciste?». [PDF, Berner Fachhochschule BFH – Departement Soziale Arbeit]. Abgerufen von https://moodle.bfh.ch/mod/resource/view.php?id=692475

 

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