Angst und Schutz im Alltag einer Frau

 

Wie man aus meinem Instagram-Account vermutlich bereits entnehmen kann, definiere ich mich selbst klar als Feministin, welche aber immer darauf hinweist, dass es nicht den Feminismus gibt.

Beim Lesen von Büchern, welche sich rund ums Thema Feminismus drehen, ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich nicke. Gedanken wie Oh ja! oder genau so geht es mir auch! erfreuen mich zum Teil, weil ich denke: Ach, das geht nicht nur mir so. Andererseits werde ich wütend und traurig, dass sich diese Umstände immer noch nicht geändert haben. Das wir diese Umstände noch nicht geändert haben!

Als ich folgendes Zitat von Margarete Stokowski aus ihrem Buch Die letzten Tage des Patriarchats herausgeschrieben habe, krochen jüngste Erinnerungen wieder in mir hoch. «Vielen Männern ist nicht klar, wie sehr Frauen die Angst und den Schutz vor Gewalt in ihren Alltag integrieren» (Margarete Stokowski, 2018, S. 112).

Habt ihr mit Männern darüber schon mal geredet? Falls nicht, müsst ihr das unbedingt ändern. (Gerne möchte ich hier darauf hinweisen, dass es sehr wohl Männer gibt, die sich Gedanken darüber machen und sich der Situation bewusst sind. Ich spreche hier lediglich von meinen Erfahrungen).

Ich durfte feststellen, dass mein Partner (welcher übrigens mit einer jüngeren Schwester aufgewachsen ist) vermutlich noch nie in seinem Leben einen Gedanken daran verschwendet hat, wie es ist, eine Frau zu sein bzw. welche Auswirkungen die Gesellschaft auf den Alltag einer Frau haben kann. Hin und wieder sprach ich natürlich mit ihm über das Thema Feminismus und zu Beginn hat er mich etwas belächelt, als ihm aber von Zeit zu Zeit keine sinnvolle Gegenargumente mehr in den Sinn kamen und er gewisse Aspekte doch nachvollziehen konnte, schien er immer mehr Verständnis für meine Wut oder für meinen Kummer, wie man es auch beschreiben will, aufbringen zu können. Doch das Thema, wie sehr sich «Angst und der Schutz vor Gewalt» in meinen «Alltag integriert» wurde ihm doch erst kürzlich bewusst.

Mein Partner und ich wohnten in einer kleinen Wohnung, vor welcher gerade die Strasse saniert wurde. Um zu unserem Haupteingang zu gelangen, musste man zwischen zwei Gebäuden einen offenen Durchgang passieren, welcher zu einem kleinen Innenhof führte (klingt romantisch idyllisch, war es aber nicht).  Während den Sanierungsarbeiten war ich gezwungen, die Baustelle zu überqueren, da es ansonsten keinen Weg gab, um nach Hause zu gehen, dito beim Verlassen der Wohnung. Wie vielleicht viele von euch schon erahnen: Ich spürte die Blicke der Strassenarbeiter. Ich spürte und sah sie - und ja, ich fühlte mich unwohl. «Jetzt darf man nicht mal mehr gucken», denken jetzt einige. Doch darf man, aber es kommt drauf an, wie man guckt. Egal wie oft ich durchlief, jedes Mal wurde «geguckt». Ich verliess in dieser Zeit die Wohnung nur, wenn es nötig war. Und ja, ich überlegte vorher immer, was ich anziehen soll. «Haha, ja das machen Frauen doch immer». 1. Nein, nicht alle Frauen 2. machen manche Männer auch 3. Ich habe mich mit dem Hintergedanken angezogen, dass ich diese Baustelle passieren muss – und dieser Faktor ist doch nicht normal?

Nachdem ich einmal die Wohnung verliess und Richtung Bahnhof lief, fuhr ein Firmaauto neben mir durch, und die Männer, die darinsassen, schrien und pfiffen aus dem Auto in meine Richtung. Meine Reaktion: HELP!?!? Ich lief weiter und wusste nicht wohin schauen. Und ja es waren vermutlich genau die Arbeiter, die auch am nächsten Tag wieder vor meiner Wohnung arbeiteten.

Als ich meinem Freund von diesem Ereignis erzählte, dachte er, das sei doch nichts Schlimmes, sei bestimmt nur Spass. Als ich ihm klar machte, dass der Umstand, dass vor unserer Wohnung Arbeiter sind, mein Alltag so beeinflusst (Was ziehe ich an? Soll ich die Wohnung verlassen oder noch ein wenig warten?) kam ihm das alles zwar suspekt vor, aber er schien mich ernst zu nehmen, wofür ich ihm sehr dankbar war und noch heute bin. Denn in unserem Freundeskreis gibt es viele, die lachen, sobald ich mich als Feministin bezeichne (habe das zwar nur einmal gemacht, aber seither müssen das einzelne immer betonen. Keine Ahnung wieso. Und ja, auch Frauen.)

Apropos anziehen. Seit einem erschreckenden Vorfall, überlege ich mir noch viel genauer als vorher, was ich anziehen soll – nein, was ich anziehen darf – um mit meinen Freundinnen gemütlich  in einer Bar etwas trinken zu gehen. Auch wenn ich ein Shirt mit einem tieferen Ausschnitt trage, sind meine Brüste nicht gerade sehr auffallend. Sie sind nicht besonders gross oder «stechen einem ins Auge, dass man nicht anders kann als hinzugucken» (ja, Schwachsinn). Als ich nach einem Barbesuch mit meinen Freundinnen zur Bushaltestelle lief, sah ich einen Bekannten auf der Strasse und quatschte ein wenig mit ihm. Als ich mich verabschieden und weiterlaufen wollte, rief mir eine unbekannte Stimme hinterher. Vermutlich ein Kumpel des Bekannten, mit welchem ich zuvor noch sprach. Ich drehte mich um, da ich dachte, dass mir vielleicht etwas heruntergefallen sei oder so. Da kam er auf mich zu und als ich ihn fragen wollte, was denn sei, griff er mir in den Ausschnitt. Einfach so. ZACK! Ich schob seine Hand weg und sagte etwas wie: «Sag mal geht’s noch!?!?» und lief weg. Was hätte ich sonst tun sollen? Körperlich hätte ich es mit diesem Typen niemals aufnehmen können. Als ich endlich, ausser Atem, zu meinen Freundinnen aufschloss, erzählte ich ihnen völlig entsetzt, was gerade geschehen war. Und diese gingen nicht mal darauf ein. So à la: Aha okay, ist doch nichts Aussergewöhnliches. Ich fühlte mich total verarscht. Sie nahmen mich irgendwie nicht ernst und das hat mir in diesem Moment überhaupt nicht geholfen. Klar, was hätten sie in diesem Moment ausrichten können? Nichts. Aber zuhören, das hätten sie können.

Wie schwierig muss es denn bitte für Menschen sein, die regelmässige oder rohere Gewalt erleben mussten? Ganz ehrlich: Ich kann es mir nicht vorstellen. Was ich aber genau weiss, ist, wie es ist, mich täglich zu schützen, mich täglich zu hinterfragen.

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