Cyberfeminismus

«Nur wer die Deutungshoheit erobert, was als sozial gerecht zu gelten hat, hat Aussicht auf Politik- und Gestaltungsfreiheit» (Jaeger, 2017, zit. nach Fleischhauer, Schäfer & Schumann, S. 150)


Wir leben in einem Zeitalter, in dem technische Fortschritte immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das Internet wird mittlerweile von praktisch jeder Person für alles Mögliche genutzt. Die in unserer Gesellschaft wachsende Bedeutsamkeit von sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, Snapchat oder Blogs, hat einen starken Einfluss auf unser Denken und Wahrnehmen und somit auch auf unsere Form des Zusammenlebens.
Prommer, Schuegraf und Wegener (2015) gehen davon aus, dass sich durch soziale Medien die gesellschaftlichen Strukturen verändern und dass sie einen grossen Einfluss auf das Verhältnis der Geschlechter haben. Denn es ändern sich nicht nur lediglich die Medien, sondern auch die Zugangsweisen und Interpretationsmuster, weshalb ein Wandel von Geschlechtertheorien und Feminismen erkennbar wird (Prommer, Schuegraf, Wegener, 2015, S. 11). Kannengiesser (2015) geht davon aus, dass gerade Feministinnen jegliche Formen von Bildschirmmedien nutzen, um einen Wandel des Geschlechterverhältnisses zu evozieren (S. 23). Kritisch stellt sich die Frage, ob sich diese medialen Repräsentationen mit den tatsächlichen Vorstellungen von Geschlecht deckt (Prommer, Schuegraf, Wegener, 2015, S. 10). Ebenso ist es schwierig, diese Repräsentationen in der Realität einzuordnen und zu erfassen, welche Bedeutsamkeit diese für die Politik und die Gesellschaft haben (S. 13). Der Begriff «Feminismus» wird im Alltag oft als Provokation bezeichnet, da er stark mit Erwartungen oder Forderungen an Einzelpersonen verbunden wird. Die Vorstellungen von Feminismus hängen aber immer mit individuellen Erfahrungen und Situationen ab und sind daher heterogen (Nordmann, 2011, S. 35).
Feministinnen erkannten im Internet eine unvergleichbare Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit mittzuteilen und sich ein Netzwerk zu schaffen. Ausserdem kann heute kann jeder Mensch «feministische Medienangebote» herstellen (Kannengiesser, 2015, S. 29). Als Studentin der Sozialen Arbeit fragte ich mich, wie soziale Netzwerke genutzt werden, um den Begriff Feminismus im Internet und somit in der medial geprägten Gesellschaft zu vertreten. Ebenfalls interessierte mich, ob es neben positiven Effekten des sogenannten Cyberfeminismus auch Herausforderungen - wenn nicht sogar Gefahren – gibt aufgrund Darstellungen, die zu offene Interpretationsmöglichkeiten lassen.

Es scheint mir wichtig, das Verständnis von Feminismus in sozialen Netzwerken, welche sehr starke Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben, herauszukristallisieren, denn die JAMES-Studie hat herausgefunden, dass Instagram derzeit das beliebteste Smartphone-App der Jugendlichen in der Schweiz ist. Ganze 87 Prozent der Befragten besitzen einen Instagram-Account (Suter, Waller, Bernath, Külling, Willemse, Süss, 2018, S. 44).

Übrigens: Ich verwende bewusst den weiblichen Begriff Feministinnen, da in der Literatur meist nur dieser verwendet wird. In meinem Verständnis beziehe ich mich dabei auch auf andersgeschlechtliche Personen.

 

Cyberfeminismus

Der Begriff Cyberfeminismus wird ebenso wie der Begriff Feminismus verschieden ausgelegt und hat je nach Herangehensweise der Feministinnen eine andere Definition. Um diverse Verständnisse des Cyberfeminismus zu berücksichtigen, kann man unter dem Begriff die Nutzung neuer Technologien durch Frauen verstehen (Hartmann, 2017, S. 146). Eppmann (2009) bezeichnet Cyberfeminismus als eine feministische Strategie, um mittels Internet Kritik zu äussern und Innovationen zu initiieren, was auf politischer, theoretischer aber auch auf künstlerischer Ebene geschehen kann. Hartmann (2017) betont, dass Verspieltheit und Kreativität dabei relevant sind, um Aufsehen zu erregen oder Gehör zu verschaffen (S. 146). Auch Weber (2001) schreibt, dass es kein einheitliches Verständnis von Cyberfeminismus gibt. Sie vertritt aber trotzdem die Meinung, dass der Cyberfeminismus eine theoretische Bewegung und eine politische Praxis ist. Es gibt diverse Theoretikerinnen mit verschiedenen Definitionen von Cyberfeminismus, unter denen ich mich besonders an Nancy Paterson halten werde (vgl. Weber, 2001, S. 81-97). Patersons Definition deckt sich mit dem Verständnis von Kannengiesser, denn beide sprechen von Cyberfeminismus, sobald Frauen mit technologischen Mitteln die Geschlechterverhältnisse kritisieren und Veränderungen forcieren (Kannengiesser, 2015, S. 31).
Der Cyberfeminismus fand seine Anfänge in den 1990er Jahren besonders dank der australischen Frauengruppe VNS Matrix. Die darauffolgenden cyberfeministischen Projekte in verschiedensten Kunstformen begannen sich zu vermischen und vermitteln teilweise ein provokatives Bild (Hartmann, 2017, S. 147/148). Im Cyberfeminismus wurden aber grundsätzlich Vernetzung und politische Ziele angestrebt (S. 156).
Die Frauen sind online aktiv, was besonders durch Hashtags und in der Blogosphäre ersichtlich ist, da auf diesen sozialen Netzwerken Tabuthemen wie sexualisierte Gewalt an Frauen angesprochen werden können. Als Beispiel kann der Hashtag #aufschrei von Anne Wiezorek erwähnt werden, welcher im deutschsprachigen Raum stark genutzt und sehr bekannt wurde (vgl. Drüeke, 2017, S. 137/138). Unter sogenannten Hashtags können sich Personen zu einem Thema beliebig austauschen, was im Allgemeinen für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse sehr wichtig ist. Denn dieser Austausch von Erfahrungen, Gedanken oder Positionen kann von den Medien und dadurch auch von der Politik wahrgenommen werden (S. 140).

Hashtags werden dazu genutzt Transparenz über eine Thematik zu schaffen, wobei meist Bezug auf formelle und informelle politische Ereignisse genommen wird. Sobald man ein Hashtag verwendet nimmt man «performativ an der Bildung von Öffentlichkeit» teil (Stehling, S. 222). Stehling verweist auf das Verständnis von Drüeke, welche 2015 den feministischen Hashtag-Aktivismus als Protest beschreibt, damit Normen und Werte der Gesellschaft diskutiert werden und eine Reflexion bezüglich Zuschreibungen an Männlichkeit und Weiblichkeit zu ermöglichen (S. 222). Soziale Netzwerke sind Alltagsöffentlichkeiten, also sogenannte «einfache Öffentlichkeiten», wo Verhaltensmuster, Haltungen und Handlungsweisen nicht nur diskutiert, sondern auch verfestigt, verändert oder verworfen werden können (Drüeke, 2018, S. 175).
Ebenfalls ist im deutschsprachigen Raum der Blog Mädchenmannschaft sehr bedeutend, welcher von mehreren Feministinnen geführt wird. Solche feministischen Blogs bündeln Themen, lassen Ideen zirkulieren und übermitteln Wissen, weshalb die Blogs sehr stark im feministischen Diskurs mitbestimmen können. Ebenso können Blogs kommentiert werden und bieten somit einen Austausch an, jedoch nicht so intensiv, wie es auf sozialen Netzwerken wie Twitter o.ä. möglich ist (Drüeke, 2017, S. 140/141).

In der Schweiz werden zur Unterhaltung an erster Stelle Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram genutzt als auch Videoportale wie YouTube (Suter, Waller, Bernath, Külling, Willemse, Süss, 2018, S. 37). Um sich Informationen einzuholen nutzen junge Schweizer und Schweizerinnen an erster Stelle Suchmaschinen wie Google und bereits an zweiter Stelle soziale Netzwerke (S. 38), was die Relevanz von sozialen Netzwerken im Rahmen gesellschaftlicher Diskurse in der Schweiz bestätigt. Das soziale Netzwerk Instagram wird mit 87% der Befragten nicht nur am meisten, sondern auch mehrmals täglich genutzt. Primär werden Fotos, Videos oder Texte angeschaut und mehrmals pro Woche werden eigene Beiträge veröffentlicht (S. 2). Die Mädchen sind laut Studie um 10% aktiver auf den sozialen Netzwerken (S. 37). Diskurse werden also auch auf Instagram sehr aktiv gestaltet, denn es handelt sich immer um einen Diskurs, sobald «geredet, zugehört, geschrieben und gelesen» wird (May, 2010, S. 143).

(Cyber-)Feminismus auf Instragram

Zusammenfassend beurteilt, kann der Austausch auf sozialen Netzwerken wie Instagram positive Leistungen im Rahmen des feministischen Diskurses beitragen, er kann aber auch Gefahren mit sich bringen, auf welche aufmerksam gemacht werden muss.
Viele Diskursbeiträge lassen einen hohen Interpretationsspielraum offen, weshalb einige Bilder und Texte falsch gedeutet und aufgenommen werden können. Dies wiederum beeinflusst die Meinungsbildung über das Thema Feminismus. Besonders provokante Posts können falsch interpretiert werden, wodurch ein falsches Bild von Feminismus vermittelt werden kann. Diese auffälligen Provokationen haben aber auch ihre positiven Eigenschaften, da besonders diese Beiträge angeschaut und kommentiert werden und zu Diskussionen führen. Damit solche Diskussionen zustande kommen, ohne dass Missverständnisse vorliegen, müssen vorerst klar die Werte und Haltungen von den Akteuren des Hashtag-Feminismus geklärt werden, was im Kontext von sozialen Netzwerken natürlich sehr schwierig ist. Werte und Haltungen werden neben feministischen Forderungen aber immer wieder in Post verpackt, in denen allgemeine Verhältnismässigkeiten, Relationen zu anderen Themen und allgemeine Erwartungshaltungen verbildlicht oder verschriftlicht werden. An dieser Stelle möchte ich als Beispiel an das Zitat «Man muss nicht lesbisch sein, um Feministin zu sein» erinnern. Somit sind auch Diskursbeiträge, welche keine direkten feministischen Ideen oder Forderungen enthalten sehr relevant für den Diskurs, denn diese schaffen eine Wertebasis auf welcher aufgebaut werden kann.

Feminismus hat auf Instagram ein berühmtes Gesicht: Emma Watson. Es ist wichtig, einer Thematik ein Gesicht zu geben, denn man kann sich so mit jemanden identifizieren. Diese Identifikation betrifft oft nicht nur das Äusserliche einer Person, sondern auch deren Werte und Haltungen. Emma Watson ist eine Beispielfigur, die aufzeigt, wie gegen die Diskriminierung der Frau gekämpft werden kann. Durch Identifikationen mit Emma Watson, werden idealerweise nun diese Werte und Haltungen übernommen und man nimmt sich an ihr ein Beispiel und kämpft auch mit. Dennoch bin ich der Meinung, dass es mehrere feministische Persönlichkeiten bzw. Gesichter braucht, damit sich anschliessend auch mehrere Menschen mit diesen identifizieren können. Möglicherweise gibt es noch andere berühmte Frauen, wie zum Beispiel Maisie Williams, die sich für Feminismus einsetzen, aber deren Gesichter und Namen tauchten wenig bis gar nicht im Rahmen meiner Diskursanalyse auf. Ebenso bin ich der Meinung, dass Feminismus ein männliches Gesicht oder sogar mehrere männliche Gesichter braucht. Der Account @baertigefeminist nimmt – zumindest im Oktober 2018 – stark am feministischen Diskurs auf Instagram teil, ist aber keine berühmte Persönlichkeit. Mit einem bekannten und auch vertrauten Gesicht bestünde die Möglichkeit, dass sich Männer mit einem Mann identifizieren könnten, welcher für den Feminismus steht.

An dieser Stelle möchte ich die Niedrigschwelligkeit betonten, welche auf Instagram und auch auf anderen sozialen Netzwerken gegeben ist, denn die Realität sowie die Literatur zeigten, dass über feministische Themen online diskutiert wird und viele verschiedene Individuen am Diskurs teilnehmen. So kann auf einfache Weise die Gesellschaft darüber aufgeklärt werden, was Feminismus bedeutet und erreichen will. Problemtisch kann hierbei aber die gegebene Anonymität sein, da dadurch kontroverse Beiträge und Kommentare, welche feministischen Extremismus oder gewaltvollen Anti-Feminismus beinhalten, geteilt werden können. Die Anonymität lässt die Hemmschwelle sinken, um am Diskurs überhaupt teilzunehmen. Ebenso nimmt die Art wie am Diskurs teilgenommen wird an Hemmschwellen ab, was sich in einzelnen Beiträgen zeigte. Dennoch bringt die Anonymität auch einen positiven Aspekt mit sich, denn nun können alle ihre Erfahrungen teilen, ohne sich zum Beispiel für sexuelle Übergriffe schämen zu müssen und können so erkennen, dass sie nicht allein sind. Ein offener Austausch findet statt und es können Themen angesprochen werden, welche sonst unter den Tisch geschoben werden, da sie unangenehm sind.

Im Grossen und Ganzen gibt es sehr wenig Zahlen und Fakten, besonders zu wichtigen Themen wie: Wo herrschen noch Ungleichheiten zwischen Mann und Frau? Oder wo und wie werden heute noch Frauen in klassische Frauenrollen gedrängt? Zu diesen Themen gab es wenig konkrete aussagekräftige Diskursbeiträge. Zahlen und Fakten sind in der Regel sehr ausschlaggebend bei gesellschaftspolitischen Themen. Besonders im Rahmen des Feminismus, da es einige Stimmen gibt, die behaupten, dass die Gleichstellung von Mann und Frau bereits erreicht sei. Ausserdem erhöht eine exakte Auseinandersetzung mit Daten und Zahlen die Professionalisierung und somit das Ansehen einer Thematik. In Bezug auf die Professionalisierung werden mittlerweile sehr viele Bücher geschrieben und auf Instagram geteilt, aber ich möchte anmerken, dass man nicht mit Sicherheit sagen kann, ob diese Bücher dann auch tatsächlich gelesen werden. Problematisch finde ich auch, dass die Bücher sehr typisch weiblich gestaltet werden, weshalb ich bezweifle, dass auch Männer* diese Bücher kaufen würden. Das meistgeteilet und bereits erwähnte Buch «the future ist female» hat einen pinkfarbenen Buchumschlag und selbst der Titel klingt sehr einschüchternd, wenn nicht sogar besitzergreifend.



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